Beschreibung der Orgel in St. Anna, Twistringen, von Johannes Schäfer Die Becker-Orgel in St. Anna ist eine „Bekenntnis-Orgel“: Das Introvertierte ist nicht ihr Ding, denn Pate gestanden hat Gottfried Silbermann, dessen Ästhetik Unverbindlichkeit fremd war. Dafür sorgen unter Anderem hoher Winddruck, breitestmögliche Labien und auch die zentrale Position der Orgel im Raum. Die Register haben einheitliche Mensuren-so ist der Principalklang homogen, gravitätisch, zugleich transparent. Silbermanns Plenum-Ideal folgt der vergleichsweise hohe Anteil an Principalstimmen (21 von 42). Sie erreichen im Positiv die 1 1/3-sowie 1-Fuß-Lage und setzen dem Ganzen das typische klangliche Glanzlicht auf. Principale plus Klangkronen geben den vier Werken ihren je eignen Charakter, der jedoch im Zusammenspiel hinter einem überaus geschlossenen Gesamteindruck zurücktritt. Das zwölfstimmige Hauptwerk gründet auf einem 16'-Bordun (siehe Freiberger Dom), zu dem die Großmixtur korrespondiert. Das Oberwerk ist ähnlich opulent bestückt. Diese reiche Ausstattung erweitert die Möglichkeiten des Instrumentes enorm: Norddeutschbarocke Choralfantasien, die zwei gleichwertige Werke vorsehen, können authentisch erklingen, ebenso Hochromantisches, das einen üppigen 8'-Klang voraussetzt. Dennoch ist die St.-Anna-Orgel kein Silbermann-Klon: Ihre Stimmung basiert auf 440 Hz und ist nur leicht ungleichstufig temperiert, Manuale und Pedal haben den heute üblichen Umfang. Auch weist kein Instrument G. Silbermanns ein Rückpositiv auf, stattdessen haben bzw. hatten die Brustwerke in den großen Orgeln klassische französische Positiv-Register. Für St. Anna wurde das Silbermann-Brustwerk in eine Rückpositiv „umgelagert“. Mit reichem Aliquotenanteil und Krummhorn bietet es viele Varianten der Solostimmengestaltung. Verschmelzung von norddeutschem Barock und französischer RomantikFranzösische Gattungen wie Grand jeu, Récit de Cromorne, Basse de trompette oder Tiérce en taille, können in St. Anna original erklingen, da Trompeten und Krummhorn entsprechend gefertigt sind. Hinzu gesellen sich das hinter dem Prospekt aufgestellte, hochgebänkte Hauptwerk-Cornett V, das durchgebaute Cornett III des Oberwerkes und das Cornet décomposé im Rückpositiv. Sie alle eignen sich als Soloregister, wie auch für den Einsatz im Zungenplenum. Die Pedaltrompeten 8' und 4' haben eine derart hohe Durchschlagskraft, daß jede allein mühelos einen Choral gegen das Manual-Pleinjeu hervortreten lassen kann. Die „Frankreich-Importe“, sind der Clou in Silbermanns Konzept im Allgemeinen und in unserer Becker-Orgel im Besonderen: Aus Silbermanns Idee der Verschmelzung scheinbar unvereinbarer Prinzipien und Beckers guter Intonationsarbeiten, ist ein Instrument von großer Variabilität und faszinierender Homogenität entstanden. Die Zusammensetzung der Klangkronen mit niedrigem Plafond und Repetitionen, macht im polyphonen Satz alle Stimmen gut nachvollziehbar. Die Mixturen harmonieren auch mit den französisch orgientierten Zungen. |
So präsentiert sich das Plenum
brillant, gleichwohl unaufdringlich und ermöglicht zudem die Darstellung
von Werken des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Eindruck beim ersten Hören oder Spielen der Orgel ist der einer hohen vokalen Qualität: Wie in itaienischen Instrumenten scheint das Gesangliche in den Kernregistern wesentlicher als deren Fundamentfunktion. Diese wird erst im Akkord-oder Zusammenspiel mehrerer Register, spürbar. Auch sonst begegnet uns die Ästhetik der itaienischen Orgel-(bau)Kunst auf Schritt und Tritt: Erwähnt wurde schon der inclusive 1' vollständig vorhandene Principalchor.
Als im Jahre 1988 wegen großer Umbaumaßnahmen und einer aufwendigen Asbestentsorgung, der auch die bestehende Orgel zum Opfer gefallen war, die St. Anna-Kirche für sechs Jahre geschlossen werden mußte, gab es genügend Zeit, ein neues Instrument zu planen. |